Wurzelbrühe

Arpad Dobriban – Wartesystem 7

Auf Arpad Dobriban wurde ich zum ersten Mal aufmerksam, als mir 2014 dieses Video vor die Füße fiel. Viele Dinge, die Arpad Dobriban da anspricht fand ich hochinteressant, konnte es aber erstmal nicht verwerten und legte es beiseite.

Vor ein paar Monaten erfuhr ich, dass er in der Kunstsammlung NRW/K21 Ständehaus eine Art Ausstellung hat. Tatsächlich bespielt er dort seit September 2016 das Museumsrestaurant – die Pardo Bar. Zusätzlich gibt es an vier Terminen eine kommentierte Speisefolge. Als ich mich dann anmelden wollte, waren alle Termine schon ausgebucht, durch einen glücklichen Zufall ergatterte ich noch einen Platz über die Warteliste.

Die Pardo Bar - vorher/nachher
Die Pardo Bar – vorher/nachher

Dobriban ließ den ganzen Raum, bis auf die Theke,  ausräumen und weiß streichen. Es waren zwei lange Tafeln, die sich in der Mitte kreuzten, diagonal im Raum aufgestellt, auf der Theke standen die Einweckgläser mit der Sammlung getrockneter Sauermilchprodukte. An den Wänden hingen illuminierte Pappobjekte, die wohl immer mal ausgewechselt werden, wie ich mir habe sagen lassen – Milch für die Ewigkeit, Tout abus serat punis, Tier zum Essen – die sich auf die jeweiligen Speisefolgen beziehen. Die Tische waren sehr schlicht eingedeckt, einfache Gläser, simples Besteck. Zur Begrüßung gab es ein Gläschen Kirschkernlikör, dann man nahm irgendwo Platz. Jeder fand ein kleines Multipel auf seinem Platz, ein paar Speisekarten lagen in Reichweite. Dann wurden unbeschriftete Weinflaschen und Wasserkaraffen auf den Tisch gestellt.

Das Thema dieses Abends lautete Wachstum und Mitgefühl – niemand ist hier einfach ein Beobachter. Vor jeder Speise hat Arpad Dobriban einen kleinen Vortrag gehalten, über das, was als nächstes kommt, die Zutaten, über das warum. Es begann mit einer Geschichte über die Gingkobäume, die vor dem Museum stehen, es wurde ein Schälchen mit Blättern und der Frucht herumgereicht – die Frucht riecht wirklich ein bisschen fies – dass man das benutzt, was man vorfindet, das was da ist. Die Kerne der Frucht befanden sich also in der ersten Speise und schmecken überhaupt nicht fies, sie erinnern ein bisschen an Kichererbsen. Es war ein Chawanmushi, das musste ich dann später erst mal googeln. Vom Ansehen dachte ich zuerst, das sei eine Art kalter, wässriger Pudding, bis es dann vor mir stand und ich feststellte, dass es warm und herzhaft war. So eine glibberige Konsistenz mag ich normalerweise überhaupt nicht, aber in diesem Fall war es ganz angenehm im Mund, der Geschmack war sensationell und etwas Vergleichbares habe ich noch nie gegessen.

Kunststrudel Tweet Huhn

Wir arbeiten uns weiter duch die Pflanze und auf der Speisekarte standen nun die Sprossen, aber es gab ein kleines köstliches Intermezzo aus Blättern (Spinat?), lauwarm in irgendwas mariniert. Das mag ich übrigens sehr an Dobriban, er ist konzeptionell stark, aber niemals dogmatisch. Danach also die Sprossen. Große Einweckgläser mit Linsensprossen wurden auf den Tisch gestellt, dazu ein Balsamicodressing und Papadam, das würzige indische Fladenbrot, das auch aus Linsen hergestellt wird.  Und schwups, schon sind wir bei der Wurzel, die in Form einer intensiven Brühe daherkommt. Inzwischen standen auch Karaffen mit Kirschsaftschorle auf dem Tisch. Es folgten Kalbsfüße, Kardonen und Lorbeerkartoffeln mit Sauce gribiche. Die Kalbsfüße – für mich ein frittierter Glibber – haben mich nicht überzeugt, die Kardonen hielt ich zuerst für geschmackarmen Staudensellerie. Die Kartoffeln mit der Sauce gribiche waren ausgezeichnet. Zum Abschluss gab es Chaudeau mit getrockneten (kandierten?) Sauerkirschen und ein Roseneis, was ich nur kurz kostete, da ich Rosengeschmack überhaupt nicht mag.

Wir haben uns also einmal duch eine ganze Pflanze und ihre Zustände und Teile gegessen, durchrankt von der kompletten Kirsche – Fleisch, Saft, Kern – die als Likör, Saft und Frucht auftauchte. Für mich war das Essen eine tolle Erfahrung, ich habe Dinge entdeckt, die ich bislang nicht kannte und noch nie gegessen habe, ich hatte teilweise grandiose Geschmackserlebnisse und entdeckt, dass ich manches, von dem ich dachte, dass ich es nicht mag (z. B. Chadeau aka Zabaglione) ganz neu entdeckt.

 

Arpad Dobriban war sehr begeistert von der Möglichkeit, die ihm das Haus geboten hat, nämlich für mehrere Monate die Gastronomie zu übernehmen, diese Art der Gelegenheit hatte er nämlich so auch noch nie und für ihn sei das nach 30 Jahren eine wahre Anerkennung seiner Arbeit. Ich finde das grundsätzlich eine fantastische Idee, dass Künstler für eine bestimmte Zeit die Gastronomie eines Museums übernehmen. So viele Künstler beschäftigen sich mit dem Thema Essen und Ernährung, und selbst wenn nicht in ihrer künstlerischen Arbeit, sind doch auch viele begeisterte Köche. Im museum für verwandte kunst gab es 2012 eine kleine Serie „Der KunstKoch“, Katrin Bergmann hatte diverse Künstler eingeladen im Museum ein Essen für 12 Leute auszurichten. Die waren alle sehr unterschiedlich, aber allesamt fabelhaft.

Aber warum jetzt kochen im Museum? Für Dobriban ist kochen die älteste Kulturtechnik und eine eigenständige Kunstform. Da sie unsere niedrigsten Sinne, den Geruch und Geschmack ansprechen, sei sie nicht als solche anerkannt. Beim kochen geht es um Wandel und Tranformation des Materials, um Wandel und Transformation nach der Einverleibung. Das und wie gegessen und zubereitet wird, lässt immer Rückschlüsse auf eine Gesellschaft zu. Kochen ist ein Manifest. Kochen ist politisch. Für Dobriban steht die Tradition der Zubereitung im Vordergrund. Kochen könne nur dann Kunst sein, wenn es um die Notwenigkeit der Ernährung geht, nicht wenn es etwas darstellen will. (ich hatte da gleich chichi-dekorierte Teller vor Augen 😉 ). Im Grunde ist das, was Dobriban macht, Slow-Food (nose-to-tail, regional/saisonal, Kochen wie die Ur-/Großmutter, etc.) in Reinform.  Dazu kommt der konzeptionelle Unterbau. Ich musste an dem Abend einige Male an das Mauss’sche „Essen ist ein soziales Totalphänomen“ denken und das ist ja auch das, was mich hier beim Kunststrudel antreibt. Man kann jeden Aspekt der Welt im Essen finden. Dennoch gibt es da ein paar Punkte, die sich mir nicht ganz erschließen, bzw. die ich kritisch sehe. Tradition, ab wann ist etwas Tradition? So wie ich es immer mache, oder wie es seit 100 Jahren gemacht wird, oder seit 1000 Jahren? Dobriban sagte, Innovationsmaximierung könne zu nichts Gutem führen. Hmm, ja und nein. Im Sinne eines neoliberalen Kapitalismus sicher nicht, aber wer will schon einen Handmixer, Kühlschrank oder Pürierstab missen? Es hat nun auch nicht jeder Zeit und Lust, jeden Tag mehrere Stunden mit der Nahrungszubereitung zu verbringen, da ist ein bisschen Fortschritt schon ganz prima. Man könnte Dobribans Theorien als rückwärtsgewandt und opportunistisch interpretieren, den Eindruck macht er aber gar nicht. Leider werde ich keine Gelegenheit mehr finden, nochmal nach Düsseldorf zu fahren. Diese Aspekte hätte ich gerne noch etwas aufgedröselt.

Zum gestalterischen Drumherum. Mit der Umgestaltung der Bar habe er Ruhe in den Raum gebracht: „die Leute können hier den Tag verbringen, ohne gastronomisch belästigt zu werden“.  Mir hat die Kargheit des Raum und auch die Einfachheit der Essgerätschaften gut gefallen. Ich mag die typografische Spielerei seiner Installationen und der Speisenaushänge sehr, auch den Stempellook. Die Grafikerin in mir hat über die Gestaltung der Speisekarte innerlich ein bisschen gegrummelt, „Das ist aber nicht gut lesbar, das hätte man ein bisschen schöner setzen können ….“. In dem nach dem Abend gehörten Interview mit Michael Bonke sagt Dobriban über die Speisekarte, er habe die absichtlich so „unkommunikativ“ gestaltet, damit man miteinander ins Gespräch käme. Nun, das sind wir in der Tat, allerdings nicht über die Speisekarte. 😉

 

An dem Abend war Dobriban war ein wunderbarer Gastgeber. Nach seinen kleinen Reden und nachdem die Gänge aufgetragen waren, ging er immer umher, sah nach dem Rechten, schwatzte und plauderte mit den Menschen.  Ich war an dem Abend alleine und saß nun zwischen fremden Menschen, mit denen ich in meinem persönlichen Leben eher keine Berührungspunkte habe. Die aufgeschnappten Gesprächfetzen um mich herum waren schon Gold wert. Man tauschte sich über die besten Plätze in der Welt aus, an denen man schon war und natürlich hervorragend gegessen habe, man übertraf sich gegenseitig mit den tollsten kulinarischen Erlebnissen und bewies bei der Verkostung der Speisen absolute Kennerschaft (oder auch nicht, gnihihi).  Von den reizenden Damen vor und neben mir erfuhr ich neben Buchtipps, spannende Auschnitte aus Lebensgeschichten.

Kleine Anekdote am Rande: Ich hatte Arpad Dobriban vorab gefragt, ob ich fotografieren dürfe und gesagt, dass ich den Abend über twittern und später bloggen würde  – man kennt ja die die spitzen Blicke der anderen, wenn man nicht unter Seinesgleichen ist und die ganze Zeit auf sein Smartphone starrt  – er war da ganz entspannt und locker. Während ich also bei seinen Reden lustig in mein Smartphone tippte, spürte ich diese Blicke natürlich von meinen Tischnachbarinnen. Irgendwann war mir der inhaltliche Input doch so viel, dass ich mein Notizbuch zückte und da reinschrieb. Just wurde ich sehr interessiert gefragt, ob ich Journalistin sei!

 

Arpad Dobriban – WARTESYSTEM 7, noch bis zum  22.01.2017 im K21 Ständehaus

Weiteren Berichte:
Ausgezeichnetes Interview von Michael Bonke bei SunPod
Über den Abend mit Avaiable Food im #32

 

2 thoughts on “Arpad Dobriban – Wartesystem 7

  1. Vielen Dank für Ihre sehr detailreiche und größtenteils auch präzise Beschreibung des Abends und die Würdigung der Raums. Sollten Sie noch bis zum 22. 01. Zeit finden in die Kunstsammlung zu kommen, lade ich Sie herzlich zu einem wasauchimmer ein und stehe auch gerne zur Verfügung um Ihre noch offenen Fragen gemeinsam „aufzudröseln“. Wie z.B trad. Küche usw. sonst auch gerne in andere Form. Mit besten Grüßen Arpad Dobriban

    1. Lieber Arpad Dobriban,
      vielen Dank für Ihren Kommentar, den ich leider erst heute sehe. Die Benachrichtigungsfunktion scheint hier nicht zu funktionieren. 🙁
      So oder so hätte ich es aus verschiedenen Gründen eh leider nicht mehr nach Düsseldorf geschafft. Aber vielleicht kreuzen sich unsere Wege nochmal, dann komme ich gerne auf Sie zu. Wenn Sie einen Mailverteiler haben, halten Sie mich gerne über Ihre Projekte auf dem Laufenden: uvogel@netcologne.de.
      Wenn es schriftlich nicht zu kompliziert ist, gerne hier oder auch per Mail: Was bedeutet für Sie traditionell?

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