Als ich über Regina Frisch auf ihr Seminar “Kochbücher und Zeitgeschichte!?“ aufmerksam wurde, war ich sehr entzückt und habe sofort gebucht. Bei jedem Programmpunkt jubelte ich innerlich. Ganz wie für mich gemacht. Das war mir absolut eine viereinhalbstündige Fahrt nach Lichtenfels-Schney wert.
2016 begegnete mir Regina Frisch im Internet, als sie ein Crowdfunding für ihr Buch “Biografie eines Kochbuchs” startete. Das habe ich natürlich gerne unterstützt. Irgendwann tauchte sie auch auf Instagram auf und letztes Jahr haben wir uns auch mal persönlich kennengelernt. Ich verfolge ihre Kochbuch-Forschungen und finde das super spannend. Nicht nur, dass sie weiterhin die Geschichte des Bayerischen Kochbuchs weiterverfolgt, inzwischen analysiert sie u. a. auch Kriegs- und Kolonialkochbücher.
In dem Seminar ging es also grundsätzlich darum, wie viel Zeitgeschichte man aus Kochbüchern ablesen kann.
“Was hat ein Kochbuch mit Emanzipation zu tun? Wie macht man mit Rezepten Politik? Prägen Kochbücher unsere Sicht der Welt? Von Bettelmannsuppe bis Kaiserschmarrn: Welche Geschichten kann das Bayerische Kochbuch erzählen? Wo begegnet man in Kochbüchern Krieg und Frieden – Klassismus und Rassismus – Krankheit und Gesundheit?
Das Seminar wurde organisiert von der Akademie Frankenwarte, Würzburg und fand statt in der Franken-Akademie, Schney. (Das Naming ist ein bisschen verwirrend)
Ankommen am Freitagnachmittag, einchecken und im Zimmer installieren, dann gab es erst mal Kaffee und Kuchen und dann ging es um 17 Uhr auch schon los: Begrüßung, Organisatorisches, Vorstellung, Erwartungsabfrage, und einer kleinen, grundsätzlichen Einführung in die Kochbuchgeschichte und -typologie.
Interessanterweise stolperte ich hier zum ersten Mal bewusst über das Wort Rezept, das ja einerseits das ist, was ein Arzt ausstellt und man in der Apotheke für ein Heilmittel oder Medikament einlöst. Früher war das die Handlungsanweisung für den Apotheker, die Medizin zuzubereiten, also das, was heute in Kochbüchern (und andernorts) die Handlungsanweisung für die Zubereitung einer Speise ist. Das habe ich gleich mal etymologisch nachgeschlagen.
Randnotiz: Der beiläufige Nebensatz “auf Rezepte gibt es kein Copyright”, ließ mich nachdenken. Historisch wurde schon oft aus anderen Kochbüchern abgeschrieben, ohne die Quelle oder die Autorin zu nennen. Das gilt auch noch heute. Wenn man bestimmte Dinge googelt, wird manchmal ein und das gleiche Rezept, zum Teil mit exakt den gleichen Formulierungen auf den verschiedensten Plattformen angezeigt. Ich denke, sehr gute, oder Sterneköche, die wirklich sehr kreative Kompositionen erschaffen, werden ihre Rezepte auch wie Geheimnisse hüten. Das sind ja schon kreative Leistungen mit Schöpfungshöhe.
Ich erinnere mich an eine Anekdote, die mir eine ambitionierten Hobby-Köchin erzählte. Sie hatte ein Kochbuch von Paul Bocuse, dessen Rezepte nie so wirklich gelingen wollten und ihre Theorie war, dass er in den Kochbüchern immer das eine oder andere Detail einfach wegließ.
Nach dem Abendessen gab es noch einen Block „Fotos und Fettflecken“, zur Gestaltung von Kochbüchern. Also tatsächlich die ursprüngliche Gestaltung und das, wie sich Kochbücher während des Gebrauchs verändern. Alle Teilnehmende waren vorab aufgefordert, Kochbücher mitzubringen. Das hatten auch fast alle reichlich getan. Da gab es eine ganz variantenreiche Fülle. Eine Teilnehmerin hatte ein Heft mitgebracht, dass ihre Mutter 1938 als junges Mädchen handschriftlich mit Rezepten gefüllt hatte, es gab Kochhefte aus dem 1960er Jahren, Kochbuchklassiker, sehr spezielle Nischen- und Themenkochbücher.
Ich hatte u. a. “Das elektrische Kochbuch” mitgebracht. Ich weiß nicht, ob das von meiner Mutter, oder schon von meiner Oma war, ich kenne es seit meiner frühester Kindheit. Ich habe es selber noch nie wirklich benutzt und während ich kurz darüber sprach, fiel mir eine Kinderzeichnung entgegen, die ich wohl irgendwann mal für meine Mutter gemacht habe.
Von dem Kochbuch, das ich selber mal mit 13 oder 14 Jahren angelegt habe, waren einige sehr beeindruckt, hauptsächlich wohl, weil ich die Seiten handschriftlich paginiert und Karteikarten dazu angelegt habe.
Wir hätten hier noch stundenlang weiterreden und uns Geschichten zu einzelnen Kochbüchern erzählen können. Kochbücher erzählen auch Familiengeschichte(n).
Am Samstag ging es nach dem Frühstück schon um 9.00 Uhr weiter.
“Kochbücher sind Zeitzeugen – und nicht immer das, was sie scheinen! Das Bayerische Kochbuch und andere Kochbücher erzählen von Emanzipation, aber auch von Nationalismus, Kolonialismus und Krieg. Ein Kochbuch kann den Weg zur Unabhängigkeit ebnen und es kann Propagandainstrument sein.”
Wir erfuhren u. a. aus den Vorwörtern der unterschiedlichen Ausgaben des Bayerischen Kochbuchs, wie sich da zum Teil der Ton ändert. (z. B. in der 17. Auflage von 1938: “… In diesem nationalen Kampf hat auch der Verbraucher seinen Mann zu stellen und seine Ernährungsweise den heimatlichen Möglichkeiten anzupassen. In vorderster Front steht hier die deutsche Frau von Land und Stadt, sie muß den Erfordernissen der Verbrauchslenkung Verständnis und freudige Einsatzbereitschaft entgegenbringen.”).
Und wie auf die unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Zeiten eingegangen wird.
Wie sich 1916 Rezeptnamen änderten: Das „Apfelsoufflé“ von 1910, heißt 1916 “Aufgezogene Apfelspeise”, denn im 1. Weltkrieg verschwanden alle französischen Bezeichnungen.
Wie im Büchlein “Kriegs-Kochkurse” von Amelie Sprenger militärische Ausstechformen angeboten werden, oder ein Rezept für “beliebtes” Früchtebrot im Feld beschrieben wird.
Im Nachhinein ist es ein bisschen lustig, dass die Nazis 1933 einen “Eintopfsonntag” verordnet hatten. Der sollte “ein sichtbarer Ausdruck der Gemeinschaft” sein. Gar nicht lustig ist, dass Denunzianten das anzeigten, wenn in einer Gastwirtschaft am Sonntag kein Eintopf auf der Karte stand.
In Gruppen sollten wir dann bestimmte Rezepte zeitlich einordnen, also wann sie ins Bayerische Kochbuch aufgenommen wurden. Da lagen wir alle zum größten Teil falsch. Oder hättet ihr gewusst, dass Makkaroni und Mailänder Reis 1910, Spaghettifeingericht 1933, Pommes frites 1958 oder Tellerfleisch 1998 in das Kochbuch kamen?!
Mittags gab es Gerichte nach Rezepten aus dem Bayerischen Kochbuch. Hier ein Pfeffergeschnetzeltes mit Herzoginnenkartoffeln. Dass das Gemüse nicht frisch war – nun ja.
Nach einer langen Mittagspause, in der ich ein bisschen herumspaziert bin, ging es mit biografischer Arbeit weiter. Wir sollten kulinarische Erlebnisse aus unserem Leben möglichen allgemeinen Zeitgeschehen zuordnen. Wir kennen das alle, wohlige Erinnerungen an Kindheitsessen, oder Dinge, die mit Zwang verbunden waren. Ich kann Dinge rückblickend immer nur sehr schlecht zeitlich zuordnen, für mich war alles entweder Kindheit oder Jugend, aber mir und auch den anderen fielen viele Dinge ein, die mit Essen verbunden sind. Und je mehr die anderen erzählten, desto mehr fiel mir noch ein.
Ein paar Beispiel:
Ich mochte noch nie Milch trinken. Glücklicherweise mochte meine Mutter das auch nicht und ich wurde als Kind nie dazu gezwungen.
Als Kind mochte ich keinen Salat. Meine Mutter machte eine Zeit lang ein Dressing aus Essig, Öl und Zucker und der Zucker war dann nie ganz aufgelöst und knirschte zwischen den Zähnen. DAS mochte ich nicht, habe als Kind aber nie den Zusammenhang hergestellt. Erst als meine Mutter irgendwann auf ein anderes Salatdressing umstellte, entdeckte ich, dass ich Salat super lecker fand.
Ich war als Kind ein paar Mal im Krankenhaus, weswegen ich eine lebenslange Aversion gegen klaren Apfelsaft und Kamillentee habe. Nur die Spargelcremesuppe (aus der Tüte) mochte ich. Die wurde seitdem bei uns zuhause als „Krankenhaus-Süppchen“ zubereitet.
Mitte der 90er Jahre habe ich mich mal eine Zeit lang vollwertig und nahezu vegan ernährt. (Kein Zucker, kein Kaffee, kein Alkohol, kein Fleisch, (fast) keine tierischen Eiweiße). Das war noch in Zeiten, in denen es nicht an jeder Ecke einen Biosupermarkt und vegetarische/vegane Speisen gab! Ich konnte quasi nicht mehr Essen gehen und auch bei Einladungen und Partys war das problematisch, wenn man nicht verhungern wollte. Das war also alles mit extrem viel Aufwand verbunden. Ich wurde dann auch ganz schlimm missionarisch und ich entschuldige mich nachträglich bei meinen damaligen Freund*innen und Bekannten. Irgendwann ging ich mir selber damit auf die Nerven und war es leid, fast meine ganze Freizeit mit Essensbeschaffung und Zubereitung zu verbringen und gab das auf.
Randnotiz: Auch ein Merkmal zur Zeitgeschichte. Das wäre bis vor ein paar Jahren nicht der Standard gewesen:
Wir haben uns bei den Kindheitserinnerungen schlimm verquatscht, aber weiter ging es mit dem nächsten Programmpunkt:
“Privates ist höchst politisch! Einsam Essen oder gemeinsam. Die Tischgemeinschaft ist im Wandel und die Kochbücher spiegeln das.”
Wann essen wir, wo und mit wem?
Schon 1958 heißt es im Vorwort des Bayerischen Kochbuchs: „Das gemeinsame Essen ist ein wesentliches Band des Familienlebens, ist es doch eine der immer seltener werdenden Gelegenheiten, bei denen sich die ganze Familie an einem Tisch vereint.”
Schon brandete die nächste emotionale Diskussion auf: Diese Unsitte, stehend oder gehend zu essen, vor dem Fernseher zu essen, sich Essen zu bestellen, Fertiggerichte, etc. Well, Leben sind halt unterschiedlich.
Aber auch der Aspekt, dass es Zeiten und Schichten gab, in denen es völlig normal war, dass sich Angestellte um Essenszubereitung, das Servieren, abräumen und reinigen kümmerten. Es gab Kochbücher mit (haarsträubenden) Kapiteln zur “Dienstbotenkost” (siehe Foto „Kochbuch aus den Tropen“), ein Kochbuch “Feste ohne Minna”, von Sybil Gräfin Schönfeld (1966). Mit fielen dazu auch die Serien “Das Haus am Eaton Place” und “Downton Abbey” ein, wo das Leben und die Essgewohnheiten der Dienstboten eine tragende Rolle spielen.
Ganz entzückend fand ich, dass Regina Frisch sich zu diesem Part ein entsprechendes Outfit angezogen hatte.
Im letzten Block am Sonntagvormittag streiften wir noch die Themen Nachhaltigkeit und Gesundheit.
Wegwerfen oder wiederverwenden? Was ist gesund? Wo finden wir in historischen Kochbüchern Aussagen zu diesen aktuellen Themen der Gegenwart?
Im Bayerischen Kochbuch und auch in anderen Grundkochbüchern gibt es ganze Kapitel zu Krankenkost. Wobei man sich da aus heutiger Sicht schon auch ein bisschen wundert. Ich meine krank ist ja nicht gleich krank und nur wenige Rezepte weisen darauf hin, für welche Art von Krankheit diese Kost verabreicht werden soll. Man denkt da an Suppen oder Breis, wenn man zu schwach zum Essen ist, leicht verdauliches, oder “Kraftbrühen” zur Rekonvaleszenz. Wir wunderten uns über jede Menge Alkohol in Rezepten zur Krankenkost (man wusste es nicht besser?), und jetzt im Nachgang wundere ich mich über Weinsuppe und Joghurtmayonnaise (1971!)
Wir haben unter dem Aspekt Gesundheit die Titelbilder des Bayerischen Kochbuchs von 1971, 1986, 1992 und 2007 verglichen (die ich wegen Copyright hier jetzt leider nicht zeigen kann). Das Fett am Fleisch wurde weniger, der Gemüseanteil größer. Aber auch unter dem Design-Aspekt fand ich die Fotos hochinteressant: Die Art und Anordnung der Speisen, die Gerätschaften (Brettchen, Teller, Gläser, Bestecke) und Dekorationen.
Beim Thema Nachhaltigkeit gibt es eigentlich nichts Neues. Die heutigen Trends “from nose to tail”, Resteverwertung und -vermeidung, Energie- und Ressourcensparen, sind alte Hüte. So liegen auch die Kochkisten, die Ende des 19. Jahrhunderts aufkamen, wieder voll im Trend.
Nach einer Feedbackrunde und einem Mittagessen war das pralle Seminar dann vorbei.
Ich fand es sensationell. Man könnte sicher zu jedem Themenblock noch viel tiefer einsteigen (Regina Frisch tut das ja).
Die Organisation, Unterbringung und Verköstigung waren hervorragend. Danke für die Gastfreundschaft an Brigitte Eichner-Grünbeck , Seminarleiterin der Franken-Akademie, Stephanie Böhm, Leiterin der Akademie Frankenwarte, Würzburg, die das ganze Seminar mit begleitet hat und natürlich Regina Frisch für ihre Expertise.
Übrigens bieten die Franken-Akademie https://www.franken-akademie.de/seminare und die Akademie Frankenwarte, Würzburg https://www.frankenwarte.de/veranstaltungen/index.html ein ausgezeichnetes Programm zur demokratischen Bildung an. Wäre das nicht so weit weg, würde ich da sicher öfter was belegen.
Ausgesprochen gern gelesen, liebe Ute. Das Seminar hätte mir auch gut gefallen. Biografie und Kulinarik – da denke ich gleich an meine Geschichten aus der Heimbürokantine. Essen ist ja einfach sozialer Kitt, finde ich.
Liebe Ute,
wie toll. Das klingt nach einem sehr spannenden Seminar. Hätte mir auch gefallen. Und dann erfahre ich noch Geschichten aus deinem Leben, die ich noch gar nicht kannte!!!
Das Gutten Morgen Bildchen rührt mich sehr!!!
Vielen herzlichen Dank, liebe Ute, für diesen wunderbaren Rückblick auf unser Wochenendseminar!
Es war eine Freude mit Dir und den anderen TeilnehmerInnen über heitere und ernste Kochbuchgeschichten zu reden.
Hoffentlich auf bald!
regina frisch