Schokolade, Bonbons, Lutscher, Pudding, Torten – man kann es sich kaum vorstellen, dass Süßigkeiten nicht immer schon permanent zur Verfügung standen. Als ich von der Ausstellung hörte stutzte ich auch kurz: Moment, kein Zucker, wie süßt man denn da?
Eine Ausstellung im Clemens-Sels Museum Neuss zeigt vom 28.7.-13.10.2019 die Geschichte gesüßter Speisen von den Römern bis zur Gegenwart, vom Luxusartikel zur Massenware.
Bevor der Zucker in unsere Gefilde kam, hatte man nämlich nur die Möglichkeit mit Obst und Honig zu süßen. Honig hat man schon in der Steinzeit gesammelt, und in der Jungsteinzeit hat man schon Bienenvölker kultiviert.
Bevor die Römer ins Rheinland kamen gab es hier nur Wildobst, also wilde Beeren, Brombeeren, Himbeeren oder Holzäpfel, die ungekocht nicht genießbar waren.
Die Römer haben vor ca. 2000 Jahren den Obstanbau ins Rheinland gebracht, Früchte, wie Pflaumen, Trauben, Äpfel, Kirschen. Obst wurde zu Gelees eingekocht, die man zum Süßen verwendete. Das waren die Möglichkeiten zum süßen!
Ab dem Spätmittelalter kam dann das Zuckerrohr als Importware aus dem Orient nach Europa, der war natürlich teuer und lange nur dem Adel und auch nur zu besonderen Festivitäten vorbehalten. Da wurde dann auch mit Zucker geprotzt.
Ein sensationelles Ausstellungstück zeigt die Rekonstruktion einer Zuckertafel von 1585.
Wilhelm v. Herzog von Jülich-Kleve-Berg – auch genannt Wilhelm der Reich – lässt zur Hochzeit seines Sohnes Johann Wilhelm mit der Markgräfin Jakobe von Baden am Düsseldorfer Hof eine riesige Landschaft aus Zucker herstellen: das Schloss, Bäume, Tiere, Figuren, Trompeter, Engel, selbst die Teller und das Besteck waren aus Zucker. Das ist ganz schön beeindruckend was man alles aus Zucker bauen kann.
Die Briten bauten im 18. Jhd. Zuckerrohr großflächig in der Karibik an und hatten dann eine ganze Weile in Europa das Monopol auf Zucker.
Anfang des 19. Jhd. verfügte Napoleon eine Kontinentalsperre über das Vereinigte Königreich und dessen Kolonien, die britische Importe verbot – darunter fiel auch der Zucker und der wurde dann richtige Mangelware. Da machte man sich Gedanken über Ersatz und perfektionierte die Züchtung der Zuckerrübe aus der Runkelrübe. Als die Kontinentalsperre fiel, überschwemmte erst mal britischer Zucker den Markt und ab Mitte des 19. Jhd. wurde im Rheinland und insbesondere am Niederrhein die Zuckerrübe großflächig angebaut. Parallel dazu entstehen Rübenzuckerfabriken und Süßigkeitenfabriken siedelten sich an. Zucker wurde zum erschwinglichen Massenprodukt, der süße Geschmack demokratisierte sich.
Schokolade
Mit dem Rohrzucker war auch der Kakao aus der Karibik nach Europa gekommen.
Das Getränk der Azteken war bis Ende des 19. Jahrhunderts auch nur als Trinkschokolade verfügbar. Kakao enthält über 50% Fett und die Azteken tranken ihn gewürzt mit Pfeffer und Chili – das war wohl eher mit einer vollwertigen Mahlzeit vergleichbar.
Der Apotheker Coenraad van Houten hat sich 1828 ein Verfahren patentieren lassen, mit dem man Kakao entfetten und diese Masse dann gut zu Pulver verarbeiten kann.
Henri Nestlé, ebenfalls Apotheker, hat 1868 das Milchpulver erfunden und auf der Pariser Weltausstellung 1878 wurde die erste feste Milchschokolade präsentiert.
Interessanterweise wurde Kakao lange nur in Apotheken verkauft. Weil man ihn relativ aufwändig aufbereiten musste bis er genießbar war und auch weil ihm Heilwirkung zugesagt wurde. Im ältesten mittelamerikanischen Arzneibuch von 1552 wird Schokolade bei Bauchschmerzen empfohlen, oder als Badezusatz bei Erschöpfung. (Mein Kopfkino zeigt mir jetzt eine Badewanne voll mit Schokolade …)
Übrigens kommt das Wort „Konfekt“ aus der Apothekersprache. Confectio bedeutet das Anfertigen von Medikamenten und der Confectionarius war der Apotheker. Seit dem 15. Jhd. stellten Apotheker u. a. auch kandierte Früchte her und waren tatsächlich auch Hoflieferanten bei festlichen Banketten und bis ins 19. Jhd. betrieben viele Apotheker Nebengeschäfte mit Kaffee, Kakao, Spirituosen.
Es wurden auch lange Sanitäts- oder Gesundheitsschokoladen hergestellt, die Zusätze enthielten und Schokoladenhersteller kooperierten mit Pharmaunternehmen – da sträuben sich ja einem heute die Haare.
Es gab z. B. Eisen-Anthrazit-Schokolade gegen Magenbeschwerden, Chinin-Schokolade, oder Osmazon-Schokolade, die Liebigs-Fleischextrakt enthielt !!! – Das möchte ich mir geschmacklich gar nicht vorstellen.
Aber auch Scho-ka-Kola, eine koffeinhaltige Schokolade, die es ja heute noch gibt, ist quasi eine Funktions-Schokolade. Sie wurde 1935 erfunden und gehörte im 2. Weltkrieg zur Soldatenverpflegung.
In der Ausstellung wird die Neusser Firma Novesia ausführlich vorgestellt. Der Apotheker (sic!) Ferdinand Jonathan Feldhaus hat 1815 erstmals für Schokolade geworben. 1860 hat man die Apotheke Apotheke bleiben lassen und ist komplett auf die Schokoladenproduktion umgestiegen. 1879 führte man den Markennamen Novesia ein. Das bekannteste Produkt ist vielleicht die Novesia Goldnuss, die kennen ich auch noch aus meiner Kindheit. Eine Milchschokolade mit ganzen Nüssen. Ein besonderer Coup war es, dass ab 1927 die Kartonverpackung mit einem Zellophan-Fenster versehen wurde, so dass man die Schokolade und die Nüsse sehen konnte. Ein bekannter Werbe Slogan war: „Nur echt mit 27 ganzen Nüssen“ und man hat die Garantie auf 27 ganze Haselnüsse gegeben. Lustige Vorstellung, dass man erst mal die Nüsse zählt, nachdem man sich eine Tafel gekauft und dann ausgepackt hat.
Bonbons
Gibt es schon im 18. Jhd., sie werden aber auch erst im 19. Jhd. populär. Sie haben ihren Ursprung auch wieder in der Apotheke. Medikamente wurden immer schon mit Zucker verbunden. Wegen des besseren Geschmacks und zur Konservierung. Im 19. Jhd. sind Bonbons i. d. R. Hustenbonbons. Die Firma Stollwerck, die uns eigentlich für Schokolade bekannt ist, begann 1841 als Hustenbonbonhersteller und war der erste Anbieter für Bonbons, die nicht aus der Apotheke kommen. (1860 stieg man in die Schokoladenproduktion ein) Erst mit der massenhaften Verfügbarkeit von Zucker, werden Bonbons als Genussmittel produziert.
Bonbons sind relativ einfach herzustellen. Grundlage ist immer Zucker, Glukosesirup und Wasser, das wird erhitzt bis eine zähe Masse entsteht, der dann Farbstoffe und Aromen zugefügt werden.
Ich fand ganz interessant zu sehen, dass Maoam, das ich für ein klassisches Bonbon der 70er Jahre hielt, schon 1931 von einem Düsseldorfer Firma auf den Markt gebracht wurde. Überhaupt hatte ich viel Freude an den alten Verpackungen. Farben, Illustrationen, Typografie … herrlich!
Gebäck, Kuchen und Torten
Süßes Gebäck, Kuchen gibt es seit der Antike, sie wurden in der Regel mit Honig gesüßt.
Ein Highlight in der Ausstellung: das Bruchstück eines römischen Backmodels, dass man 1992 in Neuss gefunden hat, auf dem Dionysos und Silen sind zu erkennen sind. Dies wurde für ein rituelles Gebäck verwendet, dass man zu einem bestimmten Festtag buk. Das Model wurde für die Ausstellung rekonstruiert und es wurden nach altem römischen Rezept Libum gebacken. Diese Gebäcke gab es wohl in unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen, von sehr süß bis herzhaft und hier hatte man eine Variante mit Käse gewählt, das war aber sehr lecker, leicht süß, mit dezentem Käsegeschmack im Abgang.
Mit der Verfügbarkeit von Zucker hat sich im 16. Jhd. auch die Herstellung von süßem Gebäcken weiterentwickelt, Feingebäck und Zuckerbäcker erlebten im Barock ihre Blütezeit.
Ab dem 18. Jhd. tauchen dann die ersten Rezepte für Kuchen und Torten in Kochbüchern auf, die auch vom Großbürgertum genutzt werden. Und langsam verband sich dass mit der bürgerlichen Kaffeehauskultur, die von Wien aus Europa eroberte und neben den Zuckerbäckern und Pâtissiers entstand der Beruf des Konditors.
Anfang des 20. Jhd. entstehen dann Produkte wie Vanillinzucker, Backpulver, Puddingpulver, Backmischungen, so dass Jedermann und Jedefrau ganz einfach zuhause die eigenen Süßspeisen zubereiten konnte und damit dann eine Demokratisierung des süßen Geschmacks stattfand.
Die Ausstellung läuft im Kontext Terra incognita / Neuland des Museumsnetzwerks Rhein-Maas, die sich jedes Jahr ein gemeinsames Ausstellungs-Thema stellen. Das Clemens Sels Mueum hat sich für eine kulinarische Variante entschieden, was ich sehr großartig finde, denn diese Themen finden in Deutschland im musealen Kontext ja leider viel zu selten statt. Der Kurator der Ausstellung Dr. Carl Pause – von Haus aus Archäologe – war selber total begeistert, als er bei der Vorbereitung feststellte, dass sich über die Themen Essen/Kulinarik/Gastrosophie/Esskultur alle Themen der Welt erklären lassen.
Meine Rede!
Süßkram – Naschen in Neuss
Clemens Sels Museum Neuss
28.7.2019 – 13.10.2019
Für WDR 3 – Kultur am Mittag – habe ich zur Ausstellung auch einen Radiobeitrag gemacht.