Carolien Niebling - The Sausage of the Future

Buchbesprechung: The Sausage of the Future

Carolien Niebling ist eine niederländische Produktdesignerin, die sich auf das arbeiten mit Nahrungsmitteln spezialisiert hat. Ihr Langzeit Forschungsprojekt „The Future Sausage“ mündete in einem Buch, dessen produktion sie über Crowdfunding finanziert hat. Ihre Mission ist es, den Fleischkonsum zu reduzieren – mit bestehenden Materialien und Produktionen.

 

 

Was die Wurst kann

Die Wurst ist eins der ältesten „designten“ Nahrungsmittel. Bereits 5000 vor Christus war sie auf Zeichnungen und Malereien abgebildet. Es gibt ca. über 1.500 verschiedene Sorten, grob unterteilt in Roh-, Brüh- und Kochwürste. In Deutschland wird sie erstmals im 11. oder 12. Jahrhundert erwähnt, da kannte man schon die „lebarwurst“ und „pratwurst“.

„Wurst sind Fleischzubereitungen aus gehacktem Muskelfleisch und Schlachtfett, ferner Blut und Innereien, d. h. Gekröse, Gehirn (Hirn), Herz, Leber, Lunge Knorpel (Schweinsohr), Milz, Nieren, Rindermagen, Sehnen und Zunge der verschiedenen Schlachttiere, unter Zuhilfenahme von Salz, Gewürzen aller Art, Zucker, Wasser, Bier und Wein, evtl. auch Milch, Milcherzeugnissen und Eiern. (…) Die Wurstmasse wird in Hüllen aus gereinigtem Darm, Magen oder Blase von Rind, Schwein, Schaf oder Bock oder in Kunstdärme (Insbesondere Zellulosederivate) eingefüllt.“

Wurst (Dr. Oetker Warenkunde Lexikon, 10. Auflage, 1969)

Im Grunde ist die Wurst ein Tausendsassa: Alles vom Tier kann verwendet werden (heutzutage spricht man von nose to tail), sie ist eine Art der Haltbarmachung und ein mobiler Versorger mit Proteinen und Fetten.

Fleisch war immer schon ein beliebtes, aber auch wertvolles Nahrungsmittel. Es ist noch nicht lange selbstverständlich, dass in unserer Gesellschaft jeder jederzeit Fleisch konsumieren kann. Aber zu welchem Preis? Massentierhaltung, Tierquälerei, immer mehr Anbauflächen für Tiernahrung, statt für Menschennahrung, völlig gestörte Zuchtmaßnahmen, Meatwaste (am liebsten wollen die Leute ja nur Hähnchenbrust, Steak und Filet essen, den Rest vom Tier aber nicht), etc.

Fleischkonsum ist ja nicht grundsätzlich falsch, in unserer Zeit aber völlig eskaliert und aus dem Ruder gelaufen. Aber jeder weiß auch, dass totaler Verzicht, Einschränkung und Unbequemlichkeit, nicht unbedingt dazu animieren, Verhaltensweisen zu ändern. Carolien Niebling hatte also die geniale Idee, wie wir unseren Fleischkonsum reduzieren können. Sie hat die Wurst neu gedacht und neue Varianten der Klassiker erstellt.

Das Buch

Was mich beeindruckt, sie hat das Thema Wurst von Grund auf studiert und ihr Buch ist ein echten Kompendium geworden. Das Buch entstand in Zusammenarbeit mit dem Schlachtermeister Hermann ter Weele und seinem Fachwissen zur Wurstherstellung und dem Molekularkoch Gabriel Serero, der bei der Rezeptentwicklung unterstützte.

Niebling startet mit der Dekonstruktion der Wurst in ihre Bestandteile: Masse, Feuchtigkeit, Kleber, Geschmack, Haltbarmachung und Haut.

Das Buch ist unterteilt in vier Kapitel:

  • Theorie
    • Die Geschichte der Wurst, ihre Ursprünge und Herkunft. Die Benutzung von Därmen führt zur Form der Wurst. In unterschiedlichen Teilen der Welt, mit unterschiedlichen Klimas werden Würste unterschiedlich hergestellt. In wärmeren Regionen wird sie eher gekocht, in kälteren fermentiert oder geräuchert. Es gibt regionale Unterschiede, auch an nicht fleischlichen Zutaten, oft bezieht sicher der Name auf die Region.
    • Über das Fleisch
      Niebling erklärt die verschiedenen Fleischsorten, wann Geflügel helles oder dunkles Fleisch hat, die verschiedenen Muskelfunktionen, was in den Muskeln chemisch bei bestimmten Bewegungen passiert.
    • Die unterschiedlichen Umhüllungen
  • Die Methoden
    • Haltbarmachung und Kleber
    • Produktionstechniken
    • Wurstarten
  • Das Material
    • Proteine
      Nieblings Ausgangspunkt ist die Versorgung mit Proteinen, sie dröselt das detailliert auf, welche Nährstoffe wir brauchen, wie wir uns ernähren und analysiert die verschiedensten Nahrungsmittel, von den einzelnen tierischen Bestandteilen, über Insekten bis zu sämtlichen pflanzlichen Teilen (Blumen, Gemüse, Samen, Getreide, Algen, etc.)
  • Das Ergebnis
    Hier wird’s nun spannend. Aus dem bisher Erarbeiteten kreiert Niebling eine Art Wurstmatrix, aufbauend auf der Grundkonstruktion Masse Feuchtigkeit, Kleber und Rest, der Produktionstechniken und der analysierten Zutaten.

Über die Illustrationen und das Design der Würste wird eindeutig, auf welchen Anteil Fleisch man damit verzichtet. Diese Kreationen hat sie als Rezepturen entwickelt und die Würste produziert.

Drei davon erscheinen mir sehr schlüssig und ich würde sie ohne weiteres in den Supermärkten sehen:

Mortadella mit Gemüsen – sowas in der Art gibt es schon, Hähnchenbrust mit Gemüsen in Aspik; Leberwurst mit Beeren – da gibt es im Supermarkt Leberpâté mit einem Streifen Gelee dran und Blutwurst mit Apfel – das Rheinische Himmel und Ääd, Blutwurst mit Kartoffelpüree gab es früher bei uns immer mit Apfelkompott und das ist eine perfekte Geschmackskombination (mjum!)

Aber auch Kreationen wie Fruchtsalami, Insekten Paté oder Möhren-Aprikosen-Knacker sehen absulut köstlich aus.

Da Carolien Niebling Designerin und nicht Ernährungswissenschaftlerin oder Metzgerin ist, sehen die Ergebnisse auch fabelhaft und appetitanregend aus. Genau wie die ganze Umsetzung des Projekts und das Buch. Das ist sehr schön gestaltet, und sorgfältig typografiert. Alle Kapitel sind illustriert, und die Fotos der Wurstkreationen ebenfalls hervorragend gestaltet – ebenso wie die Zukunftswürste selber.

„The aim of this book is to provide readers with enough information to understand the complexity of sausages and to see their beauty“

 

Carolien Niebling beim TED-Talk in Genf 2018

 

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