Kartoffel Meditation

Workshop: Essen und Performance

Die Bundesakademie für Kulturelle Bildung veranstaltete im April ein Kulturcamp (nein, es war kein Barcamp) unter dem Motto „Ausgekocht“. Es ging um Essen und Kunst. Fünf Workshops waren geplant, die sich in unterschiedlichen Disziplinen mit dem Thema Essen beschäftigen wollten. Ich war sehr glücklich, am Workshop „Essen und Performance“ teilzunehmen, vereinen sich hier zwei meiner Leidenschaften. Mehr Deckel auf Topf geht nicht.

Den Workshop leitete Malte Pfeiffer, Mitglied des Performancekollektivs Fräuleinwunder AG, die ganz großartige Arbeiten machen. Sie „integrieren Arbeitsweisen ethnographischer Feldforschung in ihre kulturwissenschaftliche und ästhetische Praxis, sammeln im Selbstexperiment Wissen, Aktions- und Bildmaterial aus sozialen Feldern für den Probenprozess und setzen diese dann in ein Spannungsgefüge zu Motiven der Populären Kultur.“ Zum Thema Essen haben sie 2013 „Ein Bankett für Tiere“ inszeniert.

Wie es sich gehört begann der Workshop am Sonntagnachmittag mit ordentlichem Auffwärmen und einer kurze Vorstellungsrunde, mit jeweils drei Aussagen über sich, wovon eine nicht wahr sein sollte. Ich fand es wahnsinnig schwierig mir ad hoc etwas über mich auszudenken, was nicht stimmt und habe mich in meinen Satzbauten so verheddert, dass mit hinterher auffiel, dass alles wahr war.

Eine Übung zur Körper und Gruppenwahrnehmung beendete diesen ersten Teil.

Im Folgenden habe wir uns den Unterschied zwischen Theater und Performance vergegenwärtigt. Die Performacekunst hat ihre Ursprünge in der bildenden Kunst und wurde in den 70ern von u. a. Allan Kaprow als Antithese zum Theater verstanden.

Im Theater sind wir eine Figur, spielen eine Rolle, habe einen vorgegebene Text und folgen vorgegebenen Regieanweisungen. In der Performancekunst stehen reale Handlungen im Mittelpunkt. Performances arbeiten mit Widerständen, Leerstellen, Wiederholungen.

„Oft arbeiten Performance-Künstler mit einer Fragestellung, sie erforschen körperliche, geistige oder thematische Grenzen, spielen mit Widerstand, Risiko und Leerstelle – Ablauf und Ausgang der Performance sind oft nicht gänzlich vorherzusehen. Die Performance geht vom Künstler-Subjekt aus. Eine Performance ist mehr als eine bloße Handlung oder Grenzerfahrung einer einzelnen Person, sie weist über die eigentliche Handlung hinaus, schafft Assoziationsräume.“

Als erste Performance-Übung wurden wir in zwei Gruppen aufgeteilt, die jede jeweils einen Gegenstand erhielt. Jede aus der Gruppe sollte nun etwas mit dem Gegenstand machen und ihn dann der nächsten weiterreichen, die etwas anderes damit machen sollte. Das Briefing lautete: Grenzen ausloten, es darf sich nichts wiederholen.

Ich kannte diese Übung schon aus dem Schauspieltraining, aber es ist ja mit jedem Gegenstand anders. Eine Gruppe bekam einen Apfel, die andere ein Deo. So spontan fallen einem dann ja zwei bis vier Dinge ein, aber wenn man dran ist, haben das die anderen u. U. schon gemacht und dann steht man da und muss schnell was aus dem Ärmel zaubern. Und dann muss man aushalten, eine ganze Weile etwas ganz Banales vor Publikum zu tun. Die Zeit kommt einem ewig lang vor, man hat das Gefühl, das sei wahnsinnig langweilig, obwohl man auch weiß, dass es für die Zuschauer meist gar nicht so ist. Je ernsthafter und konzentrierter man sich mit einer Sache beschäftigt, desto interessanter ist es für die Zuschauer. Ich kann mich übrigens partout nicht mehr daran erinnern, was ich mit diesem Deo gemacht habe.

Das Schöne an dem ganzen Workshop war, dass es nach jeder Übung/Einheit sofort ein Feedback von der Gruppe gab. Entweder, indem beschrieben wurde, was gesehen wurde, oder welche Assoziationen jemand dazu hatte. Das war immer sehr hilfreich, weil es die Assoziationsketten gleich weiterspann. Das war eine tolle Qualität in der Arbeit von Malte Pfeiffer, der den Workshop ganz wunderbar mit seiner sehr ruhigen, aber auch wenn es nötig war, bestimmten Art, geleitet hat.

Im nächsten Schritt hat sich jede mit dem Nahrungsmittel beschäftigt, was er/sie mitgebracht hatte (das war im Vorfeld kommuniziert worden, dass eine ausreichende Menge eines Nahrungsmittels mitgebracht werden sollte). Es hatte 20 Minuten Zeit, das Material zu erforschen und sich eine Kurzperformance auszudenken.

Ich hatte Kartoffeln mitgebracht. Die breitete ich nun als erstes vor mir aus, ordnete sie der Größe nach, schaute sie an und dann war da erst mal nichts. Dann habe ich sie betastet und befühlt, festgestellt, dass die Schale wunderbar seidenglatt war. Ich habe sie gedrückt und gepresst, um den Widerstand zu erforschen, habe sie durchgebrochen und hineingebissen. Diese Notizen habe ich mir dazu gemacht:

Notizen zur Kartoffel

Dann haben wir in einer Art automatischem Schreiben unsere Gedanken zum Material aufgeschrieben:

Glatt, weich, leicht, sanft, seidig glänzend. Glänzend mit einer Störung, einem Bruch, der ist aber interessant. Es ist leicht und weich, lässt sich drücken, riecht nur wenig, etwas nach Keller, erinnert mich an die Kartoffelkiste im Keller im Haus wo ich aufgewachsen bin. Geräusch ist wenig, etwas beim steichen oder kratzen bei der „Störung“. Abbeißen, Unterschied zwischen Schale und Innerem = rau, frisch, saftig, aber auch mehlig. Geschmack leicht metallisch, Kindheitserinnerung, als ich keine gekochten Kartoffeln mochte, aber rohe. Wenn ich eine Außerirdische wäre, könnte ich es nicht einordnen, für ein Gestein zu leicht, vieleicht ist das Innere wichtig, vielleicht ist es ein Dekorationsgegenstand.

Danach hat jede ihr Nahrungsmittel auf einen Overheadprojektor gelegt und alle konnten ihre Gedanken dazuschreiben. In einer Farbe, Assoziationen, Erinnerungen, über das Material, Inhalte und Verweise, in einer anderen Farbe Grenzen und Aufforderungen.

Folie Kartoffel-Assoziationen

Mit diesem Fundus hat jede dann eine kleine Performance entwickelt.

Ich hatte mir dazu folgendes ausgedacht:

  • Kartoffeln in einer Reihe „säen“
  • Kartoffeln ernten
  • Im T-Shirt, wie in einer Schürze einsammeln
  • untersuchen: Glattheit, Weiche, Handschmeichler
  • zerbrechen → essen
  • im Gesicht erfrischen

Zur Präsentation der Performances hat wieder jede ihre Assoziationen/Gedanken dazu aufgeschrieben und zu den Folien gelegt.

Assoziationen zur Kartoffel-Performance

Durch dieses beständige, assoziative Feedback, hat sich im Lauf den Tages ein rundes Bild zum Thema ergeben.

Am zweiten Abend fand abends eine öffentlich Veranstaltung statt – ein Blind Talk – feines Format, dazu später mehr. Wir sollten da performen. Vor Publikum. Okeeeeee …

Wir sammelten Situationen, in denen Essen eine besondere Rolle spielt. Aus diesem Pool hat sich dann jede Gruppe eine Situation ausgesucht, die sie zu einer Performance bearbeiten wollte. Meine Gruppe entschied sich für die Kantine. Wir haben erstmal gesammelt, was dort typisch ist: die räumliche Gegebenheit, welches Essen gibt es, wie ist das Essen inszeniert, in welcher Situation sind die Menschen, die dort essen, welche Symbolik gibt es, welche Rolle spielt die Zeit.

Als Performance haben wir uns dann den archteypischen Ablauf eines Essens in einer Kantine überlegt. Auf die Taktung eines Metrononoms habe wir eine synchrone Choreografie eingeübt:

Reinkommen, Tablett nehmen, Besteck nehmen, Essen auf Tablett stellen, Tablett nehmen, an einen Tisch gehen, setzen, essen, aufstehen, Tablett nehmen, zur Rückgabe gehen, Besteck vom Tablett nehmen, Teller vom Tablett nehmen, Tablett wegstellen. Unser Essen waren rohe Nudeln, die wir im Takt mit offenen Mündern kauten. Das war eine schöne Geräuschkulisse.

Auch noch im Nachhinein fand ich unsere Performance richtig klasse. Chorisches und Synchrones ist ja immer stark, der monotone Takt des Metronoms, dazu die rhythmischen Kaugeräusche. Sehr schade, dass das nicht mit Bewegtbild dokumentiert wurde.

Wir haben im Workshop dann noch eine halbstündige improvisierte Performance gemacht. Eine Tafel war aufgebaut. Wir hatten unsere Requisiten und Nahrungsmittel, es gab ein paar Textblätter. In der Ausgangsposition saßen wir alle außen um das Setting herum, jeder konnte jederzeit an die Tafel gehen und sie auch wieder verlassen.

Mit den Menschen, die Improerfahrung hatten, lief das ziemlich gut, mit anderen war es etwas sperrig (Handlungen stören, Impulse nicht aufnehmen/verweigern, nicht auf andere achten, etc.) Dennoch entwickelten sich auch hier erstaunlich gute Momente.

Der Blind-Talk ist ein Format der Bundesakademie. Zwei Menschen, die sich nicht kennen, die aber ein Thema verbindet, treffen kurz vor dem eigentlichen Talk zum ersten mal zusammen. Sie haben kurz Gelegenheit miteinander zu sprechen, dann sitzen sie vor dem Publikum und unterhalten sich – es gibt keine Moderation. Bei der Künstlerin Huyen-Tran Chau und der Köchin Luka Lübke – beide mit bewegten Leben – hat das ganz fabelhaft funktioniert.

Huyen-Tran Chau und Luka Lübke
Foto: Lukas Bergmann

Die beiden hatten einen Draht zueinander, waren sich sympathisch, beide konnten sehr gut sprechen und haben sich gegenseitig die Moderations- und Fragebälle zugespielt. Unsere Kantinen-Performance fand im Anschluss statt und ich war selber erstaunt, dass wir in so kurzer Zeit etwas aufführungswürdiges entwickelt haben.

 

Hardwarehacking

Am letzten Tag haben wir uns noch die Abschlusspräsentation des anderen Workshops angeschaut. Die Teilnehmer haben Hardware gehackt und es wurde mit diversen Apps und Gadgets Nahrungsmitteln und anderen Gegenständen Geräusche und Sounds entlockt, die in einer „Konzert-Performance“ präsentiert wurden.

 

 

Was nehme ich mit?

Insgesamt war das Wochenende mehr „Performance“ als „Essen“, es hätte alles auch unter einem anderen Oberbegriff funktionert, es war aber grandios, sich drei Tage lang intensiv und ausschließlich, ohne Ablenkung und fokussiert mit einem Thema zu beschäftigen.

Ich habe festgestellt, dass ich dann doch mehr Schauspielerin als Performerin bin. Ich bin einfach lieber als Figur, als ich selbst auf der Bühne. Dennoch nehme ich einige Anregungen und Ideen für meine Theaterarbeit und das Leben mit: Das Ausloten von Grenzen, Erforschung des Materials, immer alle Sinne mitnehmen, Assoziationen und zufälligen Spuren vertrauen.

Was ich mir wünschte

Von der Bundesakademie für kulturelle Bildung wünschte ich mir, dass sie mehr und offener im Social Web kommunizieren würde. Warum werden z. B. die Blind-Talks nicht gestreamt oder zumindest aufgezeichnet und dann im Netz geteilt? Die Fotos, die an dem Abend gemacht wurden, waren nur in einem geschlossen Bereich temporär verfügbar und der Fotograf wurden am Abend mit „Keine Angst, die Fotos werden nicht veröffentlicht“ kommentiert. (??!!). Da merkt man doch wieder, auf welch unterschiedlichen Planeten wir leben.

Fünf Workshops waren zum Thema angekündigt, davon haben zwei stattgefunden. Einer fiel kurzfristig krankheitsbedingt aus, bei den anderen weiß ich es nicht, ich vermute mal, es gab zu wenig Anmeldungen. Leider, denn die Ankündigungen lasen sich sehr interessant und ich konnte mich lange nicht entscheiden, für welchen Workshop ich mich anmelden wollte. Ich habe ja auch nur ganz zufällig von dem Angebot erfahren. Vielleicht sollte man hier seine Außenkommunikation überdenken, vielleicht macht hier Kommunikaiton in sozialen Netzwerken Sinn, wo man ganz konkret bestimmte Zielgruppen und Multiplikatoren ansprechen kann. Die Zielgruppe der Bundesakademie sind Kulturschaffende und -vermittler, ihr Angebot ist breit gefächert, aber digitale Kulturvermittlung und Kulturvermittlung ins Digitalen sitzen da im Katzentisch. Ich habe mir das Programm der nächsten Monate angeschaut und zwei Angebot gefunden, die sich mit Digitalem beschäftigen und das sind Superbasics. Da erwarte ich von einer Bundesakademie doch mehr Status Quo und „Performance“ am Puls der Zeit. Aber das ist wohl symptomatisch für den Stellenwert des Digitalen in Deutschland – und in der Kultur. Und auch wenn sich die Bundesakademie in dem kleinen Städtchen Wolfenbüttel in Niedersachsen befindet, ist es doch eine BUNDESakademie, „Der Ort für Kunst, Kultur und ihre Vermittler.“, „Die Akademie hat einen bundesweiten öffentlichen kultur- und bildungspolitischen Auftrag.“ [aus dem Leitbild] Dafür ist mir der Aktionesradius zu sehr auf die Region beschränkt.
Dennoch, die drei Tage waren fabelhaft, der Ort und die Menschen sind sehr freundlich und sympathisch.

PS: Wolfenbüttel ist ja ein ausgesprochen hübsches Städtchen. Ich hatte vorher überhaupt keine Vorstellung und war entzückt, als ich in dieser kleinen niedersächsischen Perle an der Oker ankam. Den Wolfenbüttler habe ich als ausgesprochen offen und hilfsbereit kennengelernt.  Unbedingt einen Ausflug wert.

PPS: Eine Workshop-Teilnehmerin war Katrin Schwermer-Funke von Kulturkulinarik, das Projekt ist mir schon länger bekannt und ich habe mich sehr gefreut, sie mal persönlich kennengelernt zu haben. Ich wünschte, sie würde bloggen. 😉

 

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