Der Löffel war einst ein wertvoller Besitz, den man nach dem Tod vererbte. Man gab also den Löffel ab.
Die Gabel stammt ursprünglich aus dem Orient, wo man sie benutzte, um klebriges Konfekt zu verspeisen. Im 11. Jahrhundert gelangte sie über Byzanz nach Europa und wurde zunächst von wenigen italienischen Adeligen benutzt. Ende des 16. Jahrhunderts wurde sie am französischen Hof als offizielles Tischgerät eingeführt. Die Kirche verdammte das Essgerät als Teufelsspieß und klassifizierte seine Verwendung als Sünde. Selbst Martin Luther warnte vor der Gabel.
Das Messer ist eine Waffe, Arbeitsgerät, Ausdruckmittel für Hierarchie und Statussymbol. Individuelles Essgerät ist es erst seit ca. 500 Jahren und das auch nur in der westlichen Welt. Ursprünglich war es nur den Königen und Fürsten vorbehalten bei Tisch das Fleisch mit dem Messer zu zerteilen. In konservativen Haushalten tranchiert auch heute noch der Mann, was die Frau zubereitet hat.
Das sind drei kleine Beispiel aus dem umfassenden und grandiosen Buch “eat design” von Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter und aka Honey & Bunny. Die beiden gelernten Architekten führen seit 2003 ein interdisziplinäres Designstudio und beschäftigen sich hauptsächlich mit Food und Eat Design.
Das Buch beschreibt akribisch Historie, Entwicklung und soziologische Hintergründe von Essgeräten, Tafelgeschirr, bis hin zu den Orten und Gegebenheiten wie und wo wir essen. Wir unterliegen beim Essen stengen Regeln und Konventione, die uns möglicherweise mehr einschränken, als wir es ahnen.
“Der scheinbar intime Moment des Essens folgt in Wahrheit vorgegebenen, “designten” Verhaltensmustern.”
“Der Gebrauch einer Damastserviette, eines Fischmessers oder eines simplen Suppenlöffels zeigt, wer wir sind und woher wir kommen.”
“In Ostasien isst man mit Stäbchen aus tiefen Schüsseln, in Indien mit den Fingern von Bananenblättern, in Europa mit stählernem Besteck von flachen Tellern – und all das keineswegs aus rationalen überlegungen heraus, sondern als Ausdruck einer bestimmten Geisteshaltung”.
Haben einige Regeln vielleicht mal einen praktischen Nutzen gehabt, ist der oft verloren gegangen. Es gilt immer noch als unfein, Kartoffeln mit dem Messer zu scheiden, obwohl unsere Messerklingen schon lange nicht mehr aus Silber bestehen. Etikette und ungeschriebene Gesetze verändern sich im Lauf der Zeit, manchmal in genau das Gegenteil. Warum zum Beispiel trinken wir Kaffee und Kakao nicht mehr aus der Untertasse, wie es die Herrschaften noch im 18. Jhd. taten und warum trinken wir Suppen nicht aus Tassen, sondern löffeln sie mühsam?
Die Schlußfolgerung von Honey & Bunny lautet: Essgeräte sind Kontrollwerkzeuge. Sie sind nicht primär funktionell, erleichtern das essen nicht zwangsläufig, ihr Gebrauch ist schwierig zu erlernen.
Das Tischtuch
Das Tischtuch hat ebenfalls eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Bereits im alten Rom hat man ein Tuch auf den Tisch gelegt, bevor man die Speisen servierte. Hierzulande waren Tischtücher zuerst lang und schmal und dienten als Schutz vor den heißen Schüsseln, die in der Mitte des Tisches platziert wurden. Im 15. Jahrhundert wurde aus dem Tischläufer ein Tischteppich, das zog eine Verfeinerung der Tischsitten mit sich, musste ja nun das Tuch vor Kleckereien geschützt werden. Im Lauf der Jahrhunderte wurde das Tischtuch wieder kleiner, bis hin zur minimalistischen Variante der Sets.
In seiner Funktion war das Tischtuch auch mal Serviette oder gar Taschentuch.
“Noch 1530 tadelte Erasmus von Rotterdam in einer “Tischzucht” all jene, die sich die schmutzigen Finger nach dem Essen in der Kleidung abwischten. Er empfahl stattdessen das Tischtuch oder die Serviette zu benutzen”
Tischdecken wurden irgendwann immer mehr zu Repräsentationsgegenständen und gehörten mit in jede Aussteuer.
Möbel
Im nächsten Abschnitt geht es um Möbel: in unseren Breiten sind es Tisch und Stuhl, In anderen Kulturen sitzt man auf Hockern, in Japan sitzt man traditionell auf dem Boden. In der westlichen Zivilisation ist das gesellschaftlich nur beim Picknick im Grünen akzeptiert. Das essen im Bett ist interessanterweise nur erlaubt, wenn man krank ist, oder als besonderen, herausgehobenen Moment: das Sonntagsfrühstück im Bett.
Tisch, Stuhl und Tischgeschirr sind hierarchische Ordnungsstrukturen, ebenso wie die Sitzordnung. Der rechteckige Esstisch ist möglicherweise auf den Opferaltar zurückzuführen, ist dann der runde Esstisch eine Form der Demokratisierung? In Anlehnung an König Arthurs Ritterrunde oder noch weiter zurück in eine Zeit, in der wir rund um das Feuer saßen?
Räume
Der letzte Teil des Buches widmet sich Räumen, in denen gegessen wird.
“Welche Anforderungen stellen wir an Räume, in denen wir essen? Warum scheint ein Platz geeigneter als ein anderer? Und welche Regeln stecken hinter der Auswahl von Orten, an denen wir essen!”
Interessant ist hier der Vergleich mit Tieren, die Ihre Beute in den Bau, als Rückzugsort mit Sicherheitsgefühl bringen. In Restaurants sind die Tische zuerst belegt, die an der Wand und am weitesten entfernt von der Tür stehen.
Da scheinen ganz archaische Aspekte eine Rolle zu spielen.
Aber kulturell hat sich viel verändert. Wir essen im Gehen oder im Stehen, in Fastfood-Restaurants, die ganz anders gestaltet sind als Spitzenrestaurants. Zu Shakespeares Zeiten war es üblich im Theater zu essen und zu trinken, während das heute absolut verpönt ist.
Der Vorläufer des abendländischen Esszimmer ist das griechische “Männergemach”, in dem man liegend seine Symposien abhielt, im alten Rom gab es kein explizites Speisezimmer. In Klöstern nimmt man das Essen im Refektorium ein, ein Raum, der ausschließlich dem zweck der Nahrungsaufnahme dient.
Im 19. Jahrhundert baute sich die neue Gesellschaftsgruppe des Bürgertum Stadthäuser und gestaltete sie nach Vorbild der Schlösser mit expliziten Esszimmern und distanzierte sich so auch räumlich vom kochen und Personal. Die räumliche Trennung von Küche und Esszimmer führte bis heute zur räumlichen Trennung zwischen Hausherr und Hausfrau.
Kleidung
Einen kurzen Appendix gibt es noch zum Thema Kleidung. Auch hier gibt es Regeln und Tabus. Mit dem Dinnerjacket – früher war es der Frack, später der Smoking – und dem Cocktailkleid gibt sogar zwei Kleidungsstücke, die sich explizit auf kulinarische Events beziehen.
Kleine Anekdote zum Smoking https://de.wikipedia.org/wiki/Smoking : Die Herren zogen sich nach einem festlichen Dinner zum Digestif in das Rauchzimmer zurück. Da man keine verrauchte Frackjacke haben wollte, zog man dieses aus und ein Smoking-Jacket an. Das war ursprünglich ein dunkelfarbiges Samtjackt, das sich im Lauf der Zeit zu einer dunklen Jacke weiterentwickelte. Seinen ersten offiziellen Auftritt in Amerika hatte es 1886 im Privatclub Tuxedo – der Smoking heißt dort deshalb auch Tuxedo.
Das Buch wäre somit “nur” ein hervorragendes und umfassendes Kompendium zum Thema Eat Design – wären da nicht die grandiosen Fotos von Ulrike Köb und Daisuke Akita.
Mit sehr viel Lust an der Verkleidung und Inszenierung spielen Honey und Bunny mit all dem, was sie aufgeschrieben haben. Sie stellen es auf den Kopf, drehen den Spieß um, persiflieren, karikieren, stellen in Frage. Sie sitzen in einer Badewanne voller mit Bouillon und löffeln diese mit der Schöpfkelle, trinken aus der Teekanne, wie aus einer Bota, schneiden den Kuchen mit einer Kettensäge, oder sitzen im Badeanzug im Wirtshaus. Und das ist auch die große Qualität von Honey & Bunny: die performative, theatrale Inszenierung ihrer Projekte.
Das Buch enthältüber 80 Fotos auf 220 Seiten und ist somit auch ein wunderbares Bilderbuch.
Das Buch erschien 2013 im Metroverlag, Wien und ist leider nur noch antiquarisch erhältlich.
Nachtrag: gerade erfahren, dass man das Buch direkt bei Honey & Bunny bestellen kann
-> atelier @ honeyandbunny.com